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Nigeria

Nigeria umfasst ein Gebiet von 923.768 km², hat mehr als 140 Millionen Einwohner und es werden mehr als 400 Sprachen gesprochen (die genaue Zahl konnte noch nie festgestellt werden).
Viele LinguistInnen haben versucht Ordnung in die linguistische Vielfalt Nigerias zu bringen und die Sprachen zu klassifizieren. Hier möchte ich nur einen kurzen Überblick über die gesprochenen Sprachen Nigerias geben:
- 60-70% der Bevölkerung sprechen Hausa, Igbo und Yoruba, entweder als Erst- oder Zweitsprache, diese Sprachen dienen auch als lingua franca zwischen Sprechern verschiedener Sprachgruppen
- zwischen 100.00 und einer Million Sprecher sprechen eine von etwa 60 Sprachen der von der Anzahl der Sprecher her gesehen zweitstärksten Sprachgruppe unter diesen Sprachen sind Edo, Urhobo, Igala, Tiv, Efik, Ibibio, Izon, Kanuri, Fulfulde und Nupe
- in der sprechermäßig kleinsten Gruppe sind Sprachen, die jeweils von weniger als 10.000 Sprechern gesprochen werden. Viele dieser Sprachen gelten als bedrohte Sprachen, da sie meist keine verschriftliche Form haben und so auch im Schulsystem nicht zum Einsatz kommen.
Daneben spielt natürlich Englisch die donimierende Rolle, nach wie vor ist es die dominierende Sprache mit dem höchsten Prestige. Weiters sind Pidginsprachen aus dem Englsichen und nigerianischen Sprachen sehr weit verbreitet.
Wie reagiert das nigerianische Schulsystem auf diese Sprachenvielfalt? Auf dem Papier sehr ambitioniert, in der Umsetzung jedoch scheitert es kläglich.
1977 heißt es in der National Policy of Education:
a) die Muttersprache des Kindes bzw. die Sprache seiner nächsten Umgebung soll die Unterrichtssprache in Primarschulen sein
b) Englisch ist die Unterrichtssprache ab Mitte der Primarschule bis zur Universität
c) in der weiterführenden Schule sollte das Kind zusätzlich zu seiner Muttersprache Unterricht in einer der drei Hauptsprachen erhalten.
d) Ab der Oberstufe kann jede weitere nigerianische Sprache als Schulfach unterrichtet werden.
Dies soll zu dreisprachigen Sprechern führen mit Englisch, Muttersprache und einer der drei Hauptsprachen.
1998 wurde dann noch Französisch als weitere offizielle Sprache hinzugefügt und somit sollten viersprachige NigerianerInnen aus der Schulbildung hervorgehen.
Die Umsetzung dieser ambitionierten Sprachenpolitik funktionierte allerdings kaum und auch heute, 30 Jahre später, ist es fraglich wie viele wirklich drei- oder gar viersprachig sind. Im Gegenteil, die Praxis hat ein sehr negatives Bild gezeichnet: Leider zeigt sich, dass die Performanz sowohl in Englisch als auch in den anderen nigerianischen Sprachen eher schlecht ist, von der Auswirkung die das auf andere Fächer, die in einer dieser Sprachen unterrichtet werden, wurde noch nicht überprüft, ist allerdings abzusehen. Es mangelt an qualifizierten Sprachlehrern und an Ressourcen und Settings (120 Schüler in einer Grundschulklasse ist keine Seltenheit)
Sorgen bereitet nicht nur die schlechte Performanz in Englisch, sondern viel mehr die in den nigerianischen Sprachen, besonders der sogenannten Minderheitensprachen. Etwa 72% der Sprecher einer Minderheitensprache geben an, ein Gespräch in ihrer eigenen Sprache nicht ohne code-mixing oder sogar code-switching zu Englisch führen zu können. Hinzu kommen das höhere Prestige der englischen Sprache sowie die geringe Wertschätzung ihrer eigenen Sprache von Sprechern einer Minderheitensprache. Viele Privatschulen setzen etwa nur auf Unterricht in englischer Sprache.
AWONUSI Segun bietet folgende Lösungsvorschläge an, um die sprachliche Vielfalt Nigerias zu erhalten:
- Französisch als weitere exglossale Sprache dient nur instrumentalen Zwecken und belastet das Schulsystem mehr als es nutzt
- Nigerianisches Pidgin sollte anerkannt werden, da es eine starke Verbreitung hat und leicht erlernbar ist
- aggressive, national integrierte und umsetzbare Sprachplanungsprogramme sollten geschaffen werden, die den Status der Minderheitensprachen anheben und sie vom Aussterben schützen. Bleibt nur zu hoffen, dass es uns allen endlich bewusst wird dass die Vielfalt an Sprachen der Vielfalt des homo sapiens sapiens entspricht und es daher einer umsetzbaren und vielleicht manchmal wie AWONUSI sie nennt aggressiven Sprachplanung bedarf, um unsere Vielfalt zu bewahren.

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